Habt ihr auch so einen sicheren Anker? Irgend ein Ding, ein Etwas, das Ihr nur anzuwenden braucht und schon entführt es Euch an einen Ort oder gibt Euch ein Gefühl aus längst vergessener Zeit, als noch alles in Ordnung war? Vielleicht ist es ein Duft, oder eine alte Wolldecke, die, so oft Ihr sie auch wascht, immer noch die selbe Wärme in Euch verbreitet, wenn Ihr Euch darin einkuschelt.
Bei mir ist es Musik, eine LP, die sich nun hinter mir dreht, ein rundes Stück schwarzes Vinyl, dass ich kaufte, als ich dreizehn Jahre alt war. Ich weiß noch, wo der Plattenladen war und wo sie stand und ich nahm sie in die Hand, weil mir das Cover gefiel. Ich drehte sie um und der dritte Titel kam mir bekannt vor (kein Wunder, denn das Lied lief zu der Zeit ständig im Radio) und irgendwie hatte ich ein gutes Gefühl bei dieser Platte und so kaufte ich sie, ohne reinzuhören. Ich war noch sehr jung und diese Musik war völlig neu für mich; vielleicht hörte ich sie deshalb Tagelang immer wieder, bis ich begann zu ahnen, was ich da gekauft hatte. Kurze Zeit später kaufte ich meine erste Gitarre, mit 16 gründete ich mit wunderbaren Menschen zusammen eine Band. Die Band gibt es nicht mehr, aber die Menschen sind immer noch meine besten Freunde.
Die Musik auf dieser Platte änderte mein Leben. Sicherlich hätte sich mein Leben in dem Alter sowieso geändert: Ich war verliebt und entdeckte, dass es sich lohnt, darüber nachzudenken, wie ich das Richtige tun kann. Die Pubertät eben, die Zeit, in der wir begriffen, dass es nicht reicht, die Zeit einfach nur totzuschlagen, als wir der Welt verdammt noch mal zeigen wollten, dass wir ihr gefehlt haben.
Warum ich dankbar bin, dass es gerade diese LP war? Das ist leicht zu beantworten. Neunzehn Jahre sind seit dem vergangen und meine Liebe zu ihr hat nie abgenommen. Ich habe viele Musiker entdeckt und lieb gewonnen, war auf vielen Konzerten und bin immer wieder begeistert, von neuen Musikern. Aber nach wie vor bin ich davon überzeugt, dass es die außergewöhnlichste Platte war, die je aufgenommen wurde. Deshalb bin dankbar. Weil mein Anker, mein Duft – das Lagerfeuer bei dem wir diese Platte immer wieder hörten – meine Wärme – die Gefühle die ich damals für dieses Mädchen hatte und seitdem suche – meine Jugend – die naive Energie die ihr inne wohnt – ein Album ist, dessen gesamte Klangwelt mir auch heute noch Schauer über den Rücken laufen lässt, das mir immer wieder das Gefühl gibt, etwas Wunderbarem beizuwohnen, wenn ich es höre.
Und nun höre ich das letzte Lied. Es heißt Mothers of the disappeared.
Habt Ihr einen solchen Anker? Einen Schlüssel in die Zeit, in der Ihr ein besserer Mensch sein wolltet, in der Ihr die Kraft hattet, die Welt zu verändern?
Benutzt ihn! Es lohnt sich!
3 Kommentare
der anker und der glaube, ja das ist sehr wichtig, aber interessant ist doch, dass der mensch in den ersten zehn jahren geprägt wird und dann erst die bewertung, die du so gut beschrieben hast, nur so sieht mann wie wichtig eine kindheit ist.
gandi
ja genau dieser Anker, und ich meine wirklich genau diesen, der ist es. Ich war damals mit in dem Plattenladen und habe eine Eurythmics-Platte gekauft. Die finde ich auch immer noch wichtig. Aber dieses in schwarz weiß gehaltene Album ist auch für mich eine musikalische Offenbarung. Meine Tocher hat übrigens die CD vor ca. zwei Wochen eingelegt. Nachdem ich mir das Cover angesehen habe und mich an die gleichen Situationen wie du erinnert habe, ist mir bewusst geworden, dass man die Musik eigentlich schon auf einem Oldie-Sender spielen kann. Es ist eben schon fast zwanig Jahre her. Kommt mir aber vor wie gestern. Und die Musik ist immer noch aktuell.
Mein Anker kam erst viel später, so ca. 1993. Vorher habe ich hauptsächlich nur auf die Musik geachtet, erst mit A Change of Seasons kam etwas, dass mich in beide Richtungen – musikalisch und textlich – mitgerissen hat und mich immer noch begleitet.